Skalpell, Schere und Aufklärung: Zur Strafbarkeit von Ärzten wegen gefährlicher Körperverletzung

Müssen Ärzte Patienten vor einer Operation über eigene körperliche Probleme aufklären? Mit dieser Frage musste sich das Bayrische Oberlandesgericht in einer Entscheidung ( BayObLG  -AZ: 205 StRR 8/24-) befassen.

„Dem Angeklagten war 1990 die Approbation als Arzt erteilt worden. Seit 1993 war er als niedergelassener Augenarzt tätig, seit 1995 führte er neben der konservativen Behandlung von Patienten auch ambulante operative Eingriffe durch. Am 24.5.2009 erlitt der Angeklagte einen Schlaganfall mit Gehirnblutung und einmaligem epileptischem Anfall.

Dieser Schlaganfall führte beim Angeklagten zu erheblichen körperlichen Einschränkungen.“ Nachdem der Arzt eine Rehabilitationsbehandlung vorgenommen hatte, verblieb „die Feinmotorik in der rechten Hand deutlich gestört. Auch im rechten Bein ist eine Tiefensensibilitätsstörung verblieben, so dass eine Gleichgewichtsstörung beim Stehen und Gehen vorliegt.“

In der Folgezeit ab 2011 begann der Angeklagte wieder ambulante Augenoperationen durchzuführen.

„Der Angeklagte operierte von März 2011 bis zum 13.5.2016 insgesamt ca. 3.900 Patienten. Bei einem weit überwiegenden Teil (ca. 75 %) sind dabei keinerlei negative Folgen festzustellen gewesen.“

Allerdings kam es in den angeklagten Fällen zu teilweise erheblichen Verletzungen bei den Patienten.

„Die neun von der Anklage umfassten Patienten waren vor den Operationen jeweils über die normalen Risiken des Eingriffs (sog. „Grundaufklärung“) durch einen Arzt (erg.: nicht den Angeklagten) belehrt worden. Eine weitergehende Belehrung der Patienten über die Gesundheitsprobleme des Angeklagten, konkret darüber, dass der Angeklagte einen Schlaganfall erlitten hatte und welche Folgen hieraus noch resultierten, erfolgte in keinem Fall. Dies wusste der Angeklagte. Keiner der verfahrensgegenständlichen Geschädigten hätte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung vom körperlich geschädigten Angeklagten operieren lassen.“

Daher lag keine wirksame Einwilligung der Patienten in die Körperverletzung vor.

Das Bayrische Oberlandesgericht musste sich nun noch mit der Frage befassen, ob darüberhinaus auch eine gefährliche Körperverletzung vorgelegen hatte, da die Operationen teilweise unter Verwendung von Skalpell und Messer durchgeführt worden sind. Das Oberlandesgericht bejaht diese Frage und führt hierzu aus:

“ aa) Als gefährliches Werkzeug i.S.v. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB gilt jeder Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der Art seiner Verwendung im konkreten Fall geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen (Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 224 Rz. 4). Sowohl von der Rechtsprechung als auch von der herrschenden Meinung wird die Gefährlichkeit des Werkzeugs unter Verzicht auf eine generelle Gefahreneignung allein verwendungsabhängig bestimmt, so dass es nur auf die konkrete Anwendung irgendeines – „gefährlichen“ oder „ungefährlichen“ – Gegenstandes unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls, z.B. der Konstitution des Opfers, des betroffenen Körperteils oder der Intensität des Werkzeugeinsatzes, ankommt, sofern mit der Anwendung die Gefahr einer erheblichen Verletzung verbunden ist (Schönke/Schröder, a.a.O., m.w.N.).

bb) Nach diesen Maßstäben ist im vorliegenden Fall sowohl im Hinblick auf den Einsatz des Skalpells als auch in dem einen Fall des Einsatzes einer Schere jeweils von einem gefährlichen Werkzeug auszugehen.

So wie die Konstitution des Opfers geeignet ist, Auswirkungen auf die Einordnung des verwendeten Gegenstandes als gefährliches Werkzeug zu haben, gilt dies auch für die Konstitution des Angeklagten.

Soweit bei einem operativen Eingriff ein Skalpell oder eine Schere eingesetzt wird, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass diese lege artis eingesetzt werden. D.h., dass diese Werkzeuge für den Eingriff benötigt werden und derjenige, der sie einsetzt, in der Lage ist, sie ordnungsgemäß und fachgerecht einzusetzen. Das ist nicht der Fall, wenn, wie im vorliegenden Fall, ein ordnungsgemäßer und fachgerechter Gebrauch aufgrund der körperlichen Einschränkungen, wie sie beim Ange- klagten nach den Feststellungen des Tatgerichts vorlagen, nicht möglich ist.“