Der erste Senat des BGH konnte sich in dem Beschluss BGH 1 StR 145/17 vom 10.Mai 2017 der mit der Revision vorgetragenen Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Rechts auf ein faires Verfahren nicht verschließen.
Folgendes ist Geschehen: Vor der Hauptverhandlung sind dem Landgericht neue Ermittlungsergebnisse (ca. 250 neue Seiten) zugesandt worden. Das Landgericht hat die Verteidigung hiervon nicht unterrichtet. Nach Durchführung der Hauptverhandlung erhielt der Verteidiger erst zwei Monate nach Urteilsverkündung die Ermittlungsergebnisse übersandt. Das Landgericht hielt die Ermittlungsergebnisse wohl nicht für so relevant, als das die Verteidigung hiervon unterrichtet werden müsste. Dies rügt der BGH wie folgt:
„b) Diese Verfahrensweise verletzt Art. 6 MRK i.V.m. § 147 StPO. Dem Tatgericht, dem zwischen Eröffnungsbeschluss und Hauptverhandlung oder während laufender Hauptverhandlung durch Polizei oder Staatsanwaltschaft neue verfahrensbezogene Ermittlungsergebnisse zugänglich gemacht werden, erwächst aus dem Gebot der Verfahrensfairness (Art. 6 MRK i.V.m. § 147 StPO) die Pflicht, dem Angeklagten und seinem Verteidiger durch eine entsprechende Unterrichtung Gelegenheit zu geben, sich Kenntnis von den Ergebnissen dieser Ermittlungen zu verschaffen. Der Pflicht zur Erteilung eines solchen Hinweises ist das Tatgericht auch dann nicht enthoben, wenn es die Ergebnisse der Ermittlungen selbst nicht für entscheidungserheblich hält; denn es muss den übrigen Verfahrensbeteiligten überlassen bleiben, selbst zu beurteilen, ob es sich um relevante Umstände handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 10. August 2005 – 1 StR 271/05, StV 2005, 652, 653; Urteil vom 21. September 2000 – 1 StR 634/99, StV 2001, 4, 5 = BGHR StPO § 1 Hinweispflicht 5 mwN).c) Da die Ermittlungsergebnisse jedenfalls auch die genauen Daten und die Zahl der Aufenthalte des Angeklagten in Deutschland in einem bestimmten Zeitraum zum Gegenstand hatten und sich damit unmittelbar auf das Kerngeschehen des mit der zugelassenen Anklage erhobenen Tatvorwurfs bezogen, und die Strafkammer den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 21 Fällen verurteilt hat, kann der Senat nach dem Revisionsvorbringen zur behaupteten Beweisrelevanz (hier zudem schon wegen ihres Umfangs) nicht ausschließen, dass der Angeklagte bei einem Hinweis auf die Ermittlungsergebnisse diese dann ausgewertet und sich weitergehend als geschehen hätte verteidigen können.“
Anmerkung: Es entsteht der Eindruck, dass sich bei den Gerichten, deren Urteile der Kontrolle des ersten Senats des BGH unterliegen, eine gewisse Sorglosigkeit breit gemacht hat, nach dem Motto: „Ihr“ BGH werde sie schon nicht aufheben.